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Selina Ummel am Athletissima Lausanne 2015 Bild: athletix.ch

«Selina Ummel» - Eines von drei Swiss Starters Future Talenten vom BTV Aarau

Die 18-Jährige Mittelstreckenspezialistin kann dank einer Sportlehre vermehrt auf den Leistungssport setzen. Was sie mit MC Donalds zu tun hat, warum sie an ihrem ersten Rennen letzte wurde und wie sie mit dem Leistungsdruck zurechtkommt, erfahrt ihr hier.

Seraina Ummel (seraina.ummel@btv-athletics.ch) am 07.01.2016 10:00

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Schon als achtjähriges Mädchen drehte Selina Ummel ihre Runden auf der Tartanbahn im Aarauer Schachen. Zusammen mit ihrer Schwester Seraina besuchte sie jeden Samstagmorgen das Leichtathletiktraining vom BTV Aarau. Es wurde gesprintet, geworfen, Hürden überwunden, in den Sand gesprungen. Die technischen Disziplinen haben Selina jedoch nie wirklich zugesagt. Viel lieber ging sie mit ihren Eltern joggen, draussen im Wald, zwischen ihrem Wohnort Suhr und Entfelden. Auf der Fünfkilometerrrunde um den Sportplatz Hofstattmatten in Suhr kennt sie jede Kurve, jeden Baum, jede Wurzel, die im Wege steht. Nebenbei spielte Selina Handball, war im Volleyballclub, in der Mädchenriege und in der Jungschar Cevi Suhr.

Als passionierte Marathonläufer nahmen die Eltern Susanne und Beat Ummel ihre beiden Töchter schon früh mit an Wettkämpfe in den Bergen, nach Davos, in die Laufferien nach Arosa oder an den Jungfraumarathon. Die vielen Leute, das Draussensein bei Schnee und Hitze, die laute Musik, das Hopprufen und Anfeuern haben Selina beeindruckt. Schon früh, als dreijähriges Mädchen, nahm sie am ersten Wettkampf teil: Am Frauenlauf in Zürich. Zusammen mit ihrer Schwester startete sie über 300 Meter. Ins Ziel jedoch kam Selina als Allerletzte. „Kurz vor dem Zielbogen gab es auf meiner Laufstrecke einen Bogen, aus dem es aufgrund der grossen Hitze Wasser herunterrieselte. Nass zu werden hat mir überhaupt nicht gefallen, und so stand ich weinend und verloren mitten auf der Zielgeraden vor hunderten von Zuschauern, bis mein Papa zu mir kam und mich auf den Schultern unter dem Regen durch ins Ziel trug. Dies ist glücklicherweise der einzige Lauf bisher, an dem ich als letzte auf der Rangliste stehe“, sagt Selina. Niemand hätte damals geahnt, dass Selina nach diesem Drama noch hunderte solcher Wettkämpfe absolvieren wird.

Und so startete sie auch im nächsten Jahr wieder in Zürich, reiste mit ihren Eltern an jegliche Strassenläufe im Aargau, nahm am Frauenlauf in Bern teil, am Zürcher Silvesterlauf oder am Course d’Escalade in Genf. Dank der nunmehr gezielteren Lauftrainings im BTV Aarau zeigten sich erste Erfolge, bis sie am Lenzburger Stadtlauf im 2004 zum ersten Mal aufs Podest lief. Von dort an stand Selina beinahe jedes Wochenende auf dem Treppchen, ihre Freude am Laufen wuchs, und der Wechsel zu den beiden Langstreckentrainern Stephan Fischer und Georg Schärer tat sein Übriges.
Von da an wurde Selina als Mittelstrecklerin gezielt gefördert. Sie siegte am Athlétissima Lausanne bei den U18 über 1500 Meter, hält den Vereins- und ALV-Rekord der U18 über 1500 Meter (4:31.84) sowie den U18 ALV-Rekord über 1000 Meter (2:54.63). Internationale Wettkämpfe in Montbéliard (F), Castellon (ESP), Schweinfurt und Pliezhausen (DE) oder Oordegem (BE) folgten. Seit einem Jahr nun konzentriert sie sich ausschliesslich auf die 1500 Meter. „Mir fehlt für kürzere Distanzen die Schnelligkeit und Spritzigkeit in den Beinen. Über die dreidreiviertel Bahnrunden kann ich mir zudem Zeit lassen, um zu reagieren und gewisse Angriffstaktiken zu überlegen.

An Schweizermeisterschaften hat es zum SM-Titel aber nie ganz gereicht. Im 2013 wurde sie Vize-Schweizermeisterin über 800 Meter, im 2014 und 2015 Vize-Schweizermeisterin über 1500 Meter. Selina Ummel, die ewige Zweite? „Es war halt immer noch eine etwas schneller als ich. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich zu wenig an mich selbst und an meine Fähigkeiten glaube und schnell verunsichert bin. Nicht meine sportlichen Fähigkeiten oder Verletzungen, sondern die mentale Stärke ist oft meine grösste Schwäche. Ich getraue mich nicht anzugreifen, obwohl ich noch Kapazität hätte, einfach, weil ich zu wenig draufgängerisch oder mutig bin.“ Zusammen mit ihren Trainern und einem Mentalcoach arbeitet Selina stets am Vertrauen in sich selbst.

Selinas grösste Stärke jedoch liegt in ihrer Disziplin. „Geht es um die Dauerläufe, bin ich wohl die treuste Seele unserer Trainingsgruppe. Mir macht es nichts aus, am Sonntagmorgen um 8 Uhr aufzustehen, um zwei Stunden lang draussen in der Kälte, bei Wind oder Regen, joggen zu gehen. Ich fühle mich anschliessend so frisch und befreit dadurch, dass ich schon sportlich gewesen war, während andere noch immer im Bett liegen“, sagt Selina.

Doch die angehende Pharma-Assistentin verdankt ihre hohe Trainingspräsenz nicht nur sich selbst. Dank einer Sportlehre in der Apotheke Göldlin in Aarau kann sie an zwei Tagen die Woche früher gehen oder morgens später anfangen zu arbeiten, um so auf ihren Laufumfang von 50 bis 80 Kilometer pro Woche zu kommen. Weiter wird sie vom MC Donalds in Suhr durch die Sporthilfe, vom BTV Aarau sowie vom ehemaligen Trainingskollegen Matthias Annaheim und seiner Firma DUDEV finanziell unterstützt.

Umso schneller und erfolgreicher Selina wurde, desto mehr machte sich jedoch auch der Leistungsdruck seitens der Schule, den Trainern, dem Geschäft und sich selbst bemerkbar. „Ich hatte oft das Gefühl, dass die Menschen um mich herum stets Erwartungen an mich hatten. Mir wurde jedoch klar, dass der meiste Druck wohl von mir selbst kam. Langsam realisierte ich, dass ich es nie allen recht machen kann und meine Entscheidungen betreffend Traingsumfang oder Wettkampfauswahl auch nicht gegenüber allen rechtfertigen muss.“ Dieses fast schon egoistische Denken eines Einzelsportlers macht Selina oft heute noch Mühe. „Es fällt mir noch immer schwer, eine Trainingskollegin, mit der ich zuvor zwei Wochen lang in Sankt Moriz trainiert hatte, am Start dann plötzlich als Konkurrentin anzusehen.“

Dem BTV Aarau verdankt Selina ihre Karriere, denn ohne die nahegelegene Rundbahn, die professionellen Trainings sowie die langfristige und durchdachte Wettkampfplanung der Trainer wäre sie wohl nie ins Swiss Starters Future Kader aufgenommen worden. „Es ist mir eine Ehre, diesem Kader anzugehören. Ich kann an geführten Trainings in Magglingen teilnehmen, im Frühling geht’s zwei Wochen ins Trainingslager nach Tenero und ich habe auch schon mit Hugo Santacruz oder Fabienne Schlumpf trainiert“, sagt Selina. Verlangt wird von ihr, dass sie sich einem jährlichen Laktatstufentest sowie eines Ganzkörper-Check-ups bei einem Sportarzt unterzieht.

Für Selina beginnt in den nächsten Tagen nun die Crosssaison. Viele Läufe auf dem Feld wird sie aber nicht bestreiten. Ihr Fokus gilt der Qualifikation für die U20 Weltmeisterschaft in Kazan (Russland) sowie weiteren Bahnmeetings im In- und Ausland. Langfristig gesehen kann sich Selina vorstellen, Teilzeit zu arbeiten, um nebenbei noch trainieren zu können. „So schnell werde ich das Laufen wohl nicht los“, meint Selina schmunzelnd.


Bildquelle: athletix.ch

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